Tarot

Gedanken zu der Karte XVI „Der Turm“

Der Turm gehört nicht unbedingt zu den gefragtesten Karten, denn er wird häufig mit dem Scheitern eines Vorhabens oder gar mit einem Zusammenbruch assoziiert. Es gibt aber auch Tarotkundige, die darin die längst überfällige und erfreuliche Befreiung von lästigen Angelegenheiten sehen und ihn deshalb sehr positiv interpretieren. Beides ist ein bisschen zu kurz gegriffen. Um den Turm zu verstehen, müssen wir unsere bisherige Haltung hinterfragen.

Der Turmbau zu Babel ist eine Erzählung aus dem alten Testament, genauer gesagt aus dem Buch Genesis, Kapitel 11, Verse 1-9. Die Geschichte beschreibt ein frühes Ereignis der Menschheitsgeschichte: Nach der Sintflut beschlossen die Menschen eine Stadt zu bauen sowie einen Turm, dessen Spitze bis in den Himmel reichen sollte. Der Turm sollte ein Symbol für ihre Einheit und Macht sein. Da aber die Menschen damit ihre eigene Macht über alles – sogar den Himmel – stellen wollten, soll Gott dieses Vorhaben missbilligt haben. Um diesen Plan also zu vereiteln, beschloss Gott, ihre gemeinsame Sprache so zu verwirren, dass sie einander nicht mehr verstehen konnten; dies führte dazu, dass die Menschen aufhörten, den Turm zu bauen und sich über die ganze Erde zerstreuten. Der Turmbau zu Babel wird deshalb oft als Symbol für menschliche Hybris sowie den Versuch, göttliche Grenzen zu überschreiten, verstanden. Es gibt keine archäologischen Beweise für den Turmbau zu Babel als historisches Ereignis, aber die Geschichte könnte auf tatsächliche Bauprojekte im alten Mesopotamien hinweisen, wie etwa die Errichtung von Zikkurats (= monumentale und tempelartige Bauwerke, die in mehreren Ebenen aufgestockt wurden). Der bekannteste Zikkurat ist der Etemenanki in Babylon. In der Bibel wird die Stadt Babel (Babylon) später mit Unterdrückung und Sünde assoziiert, was das negative Bild der Stadt und des Turmbaus in der Erzählung verstärken könnte.

Die Trumpfkarte XVI wird gerne mit dem Turmbau zu Babel verglichen und das bringt uns der Bedeutung des Turms näher: Gemeint ist das Scheitern von Projekten aufgrund eines höheren Einflusses, dem der menschliche Hochmut und die Selbstüberschätzung vorausgegangen ist. So zeigen auch die meisten Darstellungen dieser Karte einen hohen, imposanten Turm, der von einem Blitz getroffen wird und zusammenbricht. Schockierte Menschen fallen aus ihm heraus, aber sie scheinen nicht verletzt zu sein. Der Blitz, der aus dem Himmel auf den Turm niederfährt, deutet eine plötzliche, unerwartete Intervention an, möglicherweise göttlichen Ursprungs oder aufgrund höherer Gewalt.

In gewisser Weise baut sich jeder Mensch seinen eigenen Turm: Die eigene Mauer, die man um sich zieht und die einem Sicherheit vor der Außenwelt bietet. Dies geht gut, so lange man mit der Realität und mit den Vorkommnissen der Umgebung in Einklang ist. Auch der metaphorische „Elfenbeinturm“ kann mit der Turmkarte gemeint sein.  Er beschreibt in diesem Falle eine abgeschottete, weltfremde Haltung oder Umgebung, in die Menschen vor der Realität des Alltagslebens oder vor unbequemen Einsichten fliehen.

Der Turm versinnbildlicht also in gewisser Weise eine Art Rückzugsgebiet. Dabei kann es sich um eine fixe Idee handeln, in der sich der Betroffene derart intensiv beschäftigt, dass er sich von der Welt „da draußen“ ausklinkt. Der Turm verkörpert allerdings nicht nur alles, was uns Sicherheit bietet, sondern auch die Materie. Bemerkenswert dabei ist, dass dem Turm die Karte „Der Teufel“ vorausgeht. Hier wird die Abhängigkeit von materiellen Dingen oder einer fixen Idee – freiwillig oder unfreiwillig – verkörpert , die dann bei der Turmkarte eine Erschütterung erfährt.

So können die Mauern des Turms vom Einsturz bedroht sein – meist durch unvorhergesehene Ereignisse von außen oder unerwartete Enthüllungen, die unser bisheriges Weltbild auf den Kopf stellen oder uns mit  neuen Fakten konfrontieren, mit denen wir nicht gerechnet haben.

Aber natürlich auch können wir selbst es sein, die den Turm um uns zum Einstürzen bringen, indem wir uns von bisherigen Überzeugungen und Strukturen lösen, was dann meist völlig überraschend für unser näheres Umfeld geschieht. Dann sind wir es, die durch unser plötzliches Handeln andere zur Auseinandersetzung mit der Realität zwingen.

Auch wenn der Turm häufig als schockierend empfunden wird, geht er längerfristig mit dem Gefühl der Befreiung einher. Wenn alte Strukturen zusammenbrechen, lösen wir uns meist auch aus Zwängen und es entsteht Raum für eine authentischere, stabilere Grundlage. Was der Turm uns sagen will, hängt natürlich in erster Linie von der Position ab, auf der er im Kartenbild erscheint:

  •  So kann der Tarot uns diese Karte auch als Empfehlung geben. Hier geht es dann ganz klar um die Aufforderung, sich aus alten Weltbildern und zwanghaften Ideen zu befreien, auch wenn es schwerfällt. Oder es rät uns, mit einem Scheitern unserer bisherigen Pläne zur rechnen.
  • Je nach Legemethode kann die Turmkarte auch als Warnung erscheinen. Eigentlich handelt es sich in diesem Falle um eine Ent-Warnung: Wir sollten in diesem Falle nicht mit dem Zusammenbruch unseres Vorhabens rechnen. Oder wir selbst sollten die Bombe (noch) nicht platzen lassen.
  • Als Tendenz bzw. Vorausschau ist der Turm ziemlich klar: Wir müssen über kurz oder lang mit gravierenden Änderungen rechnen, die zunächst als unerwartet und gar als bedrohlich empfunden werden können. Doch wenn wir diesen Umsturz als Möglichkeit zu tiefgreifenden Einsichten verstehen, kann er uns wiederum zur Erneuerung und zu neuem Wachstum führen.

Anbei noch ein paar Turmkarten, die mit der KI erstellt wurden:

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