Das I Ging ist ein Orakel, das Antworten zu konkreten Fragen gibt. Dabei kann es vorkommen, dass es anders antwortet als wir erwarten, aber dennoch holt es uns immer genau da ab, wo wir es brauchen.
Fragt man das I Ging beispielsweise zu einer Angelegenheit mehrmals, dann kann es sein, dass man folgende Antwort (aus dem Hexagramm Nr. 4 „Die Jugendtorheit“) erhält:
>> Beim ersten Orakel gebe ich Auskunft. Fragt er zwei-, dreimal, so ist das eine Belästigung. Wenn er belästigt, so gebe ich keine Auskunft. <<
Zugegebenermaßen ist es gar nicht so einfach, eine Einführung über das I Ging zu schreiben. Nicht etwa, weil das Werfen von drei Münzen, aus dem sich daraus die Yin- oder Yang-Linien bilden, und das Heraussuchen des passenden Hexagramms schwierig wäre (außerdem ist die Anleitung dazu in jedem Buch zu finden). Die Herausforderung besteht vielmehr darin, dass man ein Hexagramm aus dem I Ging und dessen Texte dazu nicht pauschal interpretieren kann, auch wenn es nicht wenig Literatur darüber gibt, die behauptet, es zu können. In erster Linie hängt es vom Fragenden ab, inwieweit er sich in den Texten wiederfindet; dabei kann es auch mal vorkommen, dass die einzelnen Hexagramme – abhängig vom Fragehintergrund und der Situation des Ratsuchenden – unterschiedliche Bedeutungen haben. DAs heißt: Es gibt nicht die einzige Interpretation, die für alle gültig ist. Deshalb eignet sich ein Erfahrungsbericht möglicherweise besser als eine kochbuchähnliche Übersetzung, um deutlich zu machen, wie sich das I Ging oft mitteilt.
Doch was ist das I Ging überhaupt?
Es handelt sich hier um eine strukturierte Ansammlung von den Texten, die auch als “Das Buch der Wandlungen” genannt wird und dessen Alter auf ca. 4000 Jahre geschätzt wird. Das I Ging beinhaltet 64 so genannte “Hexagramme”, bei denen es sich um 64 Strichsymbole handelt, die entsprechend in 64 Bildern aufnotiert wurden und durch die alle Lebensäußerungen darstellen. Das I Ging kann uns deshalb bei allen Fragen des täglichen Lebens Hinweise geben. Das I Ging erfordert aber auch, würdig und damit in der Lage zu sein, die Antworten anzunehmen und zu verstehen.
Es sind mittlerweile über 20 Jahre her, als ich mir mein erstes I Ging-Buch kaufte. Es handelte sich um die erste und traditionelle Übersetzung des Sinologen Richard Wilhem aus den 1920er Jahren, die ich immer noch für die Beste halte und die auch am häufigsten verwendet wird. Mittlerweile gibt es zahlreiche Bücher zum I Ging, die als Interpretationshilfe dienen sollen und sich an den Texten von Wilhelm orientieren. Sie können manchmal sehr hilfreich sein und ich habe sie ergänzend zu der Wilhelm-Übersetzung schon mehrmals verwendet. Jedoch ist das “Original” trotz der alten und oft komplizierten Sprache für mich immer noch am klarsten und tiefgreifendsten.
Was ist das I Ging?
Das I Ging (auch „I Ching“, „Yijing“ oder „Buch der Wandlungen“ genannt) ist eines der ältesten und bedeutendsten Werke der chinesischen Kultur. Es dient sowohl als philosophisches Werk als auch als Orakelbuch und hat seinen Ursprung in der Zeit der Zhou-Dynastie. Das I Ging basiert auf 64 so genannten „Hexagrammen“, die aus jeweils sechs Linien bestehen. Diese Linien können entweder durchgezogen (Yang) oder unterbrochen (Yin) sein. Jede mögliche Kombination dieser Linien bildet ein Hexagramm, das eine bestimmte Situation, ein Prinzip oder einen Ratschlag symbolisiert. Diese Hexagramme werden durch den Wurf von drei Münzen oder durch das Stäbchenorakel bestimmt.
Das Buch selbst enthält Kommentare zu jedem Hexagramm und dessen Bedeutung in verschiedenen Kontexten. Dazu gibt es mehrere Übersetzungen, die beste ist meines Erachtens die von Richard Wilhelm, die auch als Basis für sämtliche europäischen Übersetzungen (Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch und Portugiesisch) dient.
Das I Ging wird aber nicht nur als Orakelbuch verwendet. Es bietet Antworten auf Fragen oder Ratschläge in schwierigen Situationen und kann als tiefgründiges philosophisches Werk betrachtet werden, das Einblicke in die Natur des Wandels, das Gleichgewicht zwischen Gegensätzen (Yin und Yang) und das Verständnis der Dynamik des Lebens bietet.
Ein paar Praxisbeispiele
Wie ich genau zum I Ging kam, weiß ich nicht mehr genau, sondern kann mich nur noch erinnern, dass ich irgendwann nach dem Buch, das schon lange Zeit im Regal gestanden hatte, griff und gemäß der Anleitung Münzen zu werfen begann – und von den Antworten perplex und beeindruckt war. So wurde beispielsweise eine Frage zu einer beruflichen Angelegenheit, bei der ich zwar keine Zweifel an meinen Fähigkeiten und meiner Motivation hatte, aber mich dennoch vor den entscheidenen Schritt fürchtete, folgendermaßen beantwortet: “Wenn du wahrhaftig bist, dann hast du im Herzen Gelingen, und was du tust, hat Erfolg.”
Bei Meinungsverschiedenheiten oder Streit mit den Mitmenschen wurde ich oftmals vom I Ging dezent darauf aufmerksam gemacht, nicht das Wesentliche zu vergessen: “Wenn die Menschen in Gegensatz und Entfremdung leben, so läßt sich ein großes gemeinsames Werk nicht ausführen.”
Der Junge aus meiner Nachbarschaft war eigentlich schon alt genug, um sich mit Texten wie das I Ging auseinanderzusetzen. Trotzdem wollte ich mit ihm nicht “orakeln”. Doch er bat mich so lange, auch drei Münzen werfen zu dürfen, bis ich schließlich zustimmte. Ich ließ mich eigentlich nur deshalb darauf ein, weil seine die Frage an das Orakel partout nicht verraten wollte – so dachte ich mir, dass wir das Münzenwerfen getrost als Spiel mit Unterhaltungswert verstehen konnten. Kurz vor dem Wurf verriet nur so viel, dass “er Scheiß gebaut” habe und nun aus reiner Neugierde wissen wollte, was das I Ging dazu sagt. Und zum Thema “Scheiß gebaut” erhielten wir folgende Antwort: “Was von Schuld von Menschen verdorben ist, kann durch Arbeit von Menschen wieder gutgemacht werden.”
Etwa zur gleichen Zeit besuchte mich auch eine Bekannte, die von Ihrem Freund verlassen worden war und darüber sehr trauerte. So bot es sich für uns an, das I Ging zu befragen. Folgende Auskunft erhielten wir, doch leider konnte meine Bekannte nichts damit anfangen, obwohl ich die Antwort mehr als deutlich empfand: “Wenn du dein Pferd verlierst, so lauf ihm nicht nach.” [….] “Ist es unser Pferd, so kann man es ruhig laufen lassen: es kommt von selber wieder. So kommt auch ein Mensch, der zu uns gehört und infolge eines Missverständnisses sich augenblicklich von uns entfernt, von selber wieder, wenn man ihn machen ließe.”
Ein gegensätzliches Beispiel hierzu: Eine Bekannte hatte sich – wie bereits so oft vorher – von Ihrem Freund im Streit getrennt und wollte nun nichts mehr von ihm wissen. Diesmal war es natürlich – wie immer – endgültig und hatte sie auch eine neue Idee: Sie wollte alles, was sie an Gegenständen von ihn hatte und was sie in irgendeiner Weise an ihn erinnerte, entsorgen. Das I Ging offenbarte uns folgende Antwort: “Was einem wirklich gehört, das kann man nicht verlieren, selbst wenn man es wegwürfe.”
Das waren ein paar Beispiele zu möglichen Dialogen mit dem I Ging. Man sagt, dass das I Ging im Laufe der Jahrhunderte einen tiefen Einfluss auf die chinesische Philosophie, insbesondere auf den Daoismus und den Konfuzianismus, ausgeübt hat. Der Daoismus selbst ist noch heute stark im chinesischen Denken verankert. Das I Ging wird oft als Werkzeug der Selbstreflexion und Meditation verwendet und kann als Wegweiser dienen, um sich an die natürlichen Rhythmen und Veränderungen des Lebens anzupassen und findet heute auch in der westlichen Welt Beachtung.
Weiterführender Artikel: